Выпускной

Heimkehr

eine Kurzgeschichte von

Uwe Barth

© 2021

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blackglasses.de/Geschichten

u.barth@blackglasses.de

Посвящение — Widmung

Dank meiner allerbesten Freundin, die mir immer wieder gerne Begriffe wie diese liefert: Wolf, Russland, Polarlicht, Zimt, Orangen und Dreirad.

Предисловие — Vorwort

Ein Name hat eine Herkunft und eine Bedeutung. Kennt man diese, so ändert das den Klang des Namens. Und es gibt ein paar Stellen im Text, die sich einem sonst nicht erschließen. Daher hier die verwendeten Namen und ihre Bedeutung; den Quellennachweis finden Sie am Ende des Textes:

Наталья — Natalja — Die an Weihnachten geborene
Наташа — Natascha — Koseform von Natalia
Алёна — Aljona — Die Strahlende, die Beschützerin
Татьяна — Tatjana — Die Kreative, die Schaffende
Евфим — Jefim — Der Ruhige
Георгий — Georgij — Der Landarbeiter

Und nun wünsche ich gute Unterhaltung!

Приземление в холод — Landung in der Kälte

‚Kalt! Wirklich kalt!‘, dachte Natalja bei sich, als sie den Schritt aus der Luke des Passagierflugzeugs hinaus auf die kurze Treppe machte, die man herangerollt hatte. Sie blieb einen Moment stehen und ließ ihren Blick schweifen. Die untergehende Wintersonne tauchte die weiten und schneebedeckten Flächen um sie herum in ein wundervolles Farbenspiel von Rot-, Silber- und Goldtönen. Schon grummelte jemand hinter ihr und sie bewegte sich vorsichtig die Stufen zum Boden hinab.

Als ihr Fuß den Boden berührte, durchfuhren sie Wellen der verschiedensten Gefühle. Da waren merkwürdigerweise Vertrautheit und das Gefühl, endlich zu Hause angekommen zu sein. Daneben natürlich Aufregung und — wie sie bedauernd feststellte — eine Unruhe bislang ungeahnten Ausmaßes. Doch ihr blieb keine Zeit sich jetzt damit näher auseinanderzusetzen, denn die Schlange der Passagiere war eifrig bemüht, das Rollfeld und die Kälte zu verlassen und in das Gebäude vor ihnen zu gelangen.

Bald erreichte sie den Schalter, den sie aufsuchen musste. Man hatte vor der Landung mehrfach darauf hingewiesen, das Gäste des Ressorts sich dort zu melden hatten. In den wohl gewählten Worten hatte dezent der Hinweis mitgeschwungen, das man sich in diesem Land als Ausländer nicht einfach frei bewegen durfte, und das man wirklich gut daran täte, diesen Hinweis zu beherzigen.

*

„Was ist der Grund Ihres Aufenthaltes bei uns?“, knurrte ihr eine Stimme entgegen, ohne das sich die Person ihr auch nur ansatzweise zugewendet hätte. Das Englisch war wie üblich durchdrungen von der seltsamen Betonung der russischen Sprache, sie drückte dem Klang ihren eindeutigen Stempel auf. Daneben nahm sie aber außerdem ein tiefes Grollen wahr, welches ihr auf ihrer Reise bislang noch nicht begegnet war. Irgendwie erinnerte sie es an das Knurren eines großen Hundes.

„Я здесь на каникулах, что же еще. (Ich bin zum Urlaub hier, was denn wohl sonst.)“, schnauzte sie unwillkürlich auf Russisch zurück und seufzte dann innerlich auf ob ihrer Unbeherrschtheit.

„Was?", bellte der Kerl auf englisch und sein Kopf ruckte hoch.

„Ich bin zur Erholung hier.“, sagte sie diesmal etwas ruhiger und ergänzte dann: „Ich habe eine der Ferienhütten gemietet.“

Ein durchaus attraktives Gesicht, umrahmt von dichtem braunem Haar, starrte ihr entgegen, musterte sie ausgiebig von oben nach unten und zurück. Dabei bildete sich eine tiefe senkrechte Falte, genau zwischen seinen Augen, die sich mit jeder weiteren Sekunde zu immer schmaleren Schlitzen verengten.

‚Ui!‘, schoss es Natalja durch den Kopf, ‚Der Typ ist tatsächlich größer als ich.‘

Angesichts der Tatsache, das sie selbst einen Meter und 91 Zentimeter maß, kam das ja nun auch nicht oft vor.

Das Schweigen dauerte an, zog sich in die Länge und die Augen des Mannes fixierten die ihren, als wollte er sie einfach niederstarren. Und Natalja starrte zurück, vollkommen ungerührt und ohne ein Zwinkern. Keiner von beiden bemerkte, das die üblichen lebhaften Geräusche in der Ankunftshalle nach und nach schwanden. Alle sich noch im Gebäude befindenden Personen strebten eiligst dem Ausgang zu oder suchten sich einen Punkt möglichst weit weg von ihnen.

Dann glaubte sie erst sich zu verhören, aber als es lauter wurde war es eindeutig: der Kerl fing tatsächlich an sie anzuknurren.

‚Was für ein Arschloch!‘ Sie wurde wütend. So einen Scheiß würde sie sich nicht gefallen lassen!

„Ты грубый... (Du räudi... )“ , hob sie lautstark an.

„Was geht hier vor?“

Als ihnen diese Frage geradezu in die Ohren geschrien wurde zuckten Natalja und ihr Gegenüber beide heftig zusammen und der Bann war gebrochen. Der Kerl hinter dem Schalter senkte sofort den Kopf. Natalja hingegen fing sich augenblicklich, drehte sich zu Seite und fand sich Nasenspitze an Nasenspitze mit einem Gesicht wieder, das von einer langen, tiefen Narbe von der linken Stirn her, an der rechten Seite der Nase vorbei bis zum Mundwinkel, durchzogen war.

„Also?“ Der Mann trat einen halben Schritt zurück. Nicht etwa aus Furcht, eher aus Höflichkeit und Berechnung, das wusste sie ganz genau. Aber woher sie das wusste, das wusste sie nicht. Und das wiederum verwirrte sie ein wenig. Überhaupt tat sie sich schwer, diesen Mann einzuschätzen. Ein Umstand der praktisch noch nie vorgekommen war und der sie merklich überraschte.

„Urlaub.“ Eine sehr knappe Antwort, aber immerhin eine Antwort.

„Wie, bitte?“

„Urlaub. Ferien. Ich habe eine der Waldhütten gebucht.“ Na bitte, ein freundlicher Ton und ein ganzer Satz.

Der Mann drehte mit einer knappen Bewegung seinen Kopf in Richtung des Flughafenmitarbeiters, der kaum merklich nickte.

„Georgij.“ Kaum ausgesprochen trat ein dritter Mann zu ihnen. „Georgij wird sie unverzüglich zur Lodge bringen.“ Und damit verschwand Narbengesicht mit großen Schritten. Er hatte nicht einmal seinen eigenen Namen genannt.

Прибытие в домик — Ankunft in der Lodge

Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten. Sie führte vom Flughafen an der Stadt vorbei hinein in dicht bewaldetes Gebiet. Alles war weiß: Häuser, Felder, Bäume. Alles mit Schnee bedeckt. Auch die Straße, aber es war an den riesigen Schneebergen zu beiden Seiten zu erkennen, das sie regelmäßig geräumt wurde.

Der Eingang zum Hauptgebäude der Lodge war großzügig überdacht. Georgij sprang behände aus dem Wagen und öffnete ihr bereits die Tür, bevor sie selbst es tun konnte. Sie stieg aus, drehte sich gleich einmal, um sich selber um ihre Umgebung zu erfassen. Das war eine Angewohnheit: egal wo sie hinkam, als erstes versuchte sie immer so viel wie möglich von ihrer Umgebung in sich aufzunehmen, um sich später problemlos zurechtzufinden.

Georgij trug bereits ihr Gepäck hinein und sie folgte ihm schnell, um nicht den Anschluss zu verlieren. Er trat an die Theke der Rezeption, unterhielt sich dort kurz und leise mit einer jungen Frau, wendete sich Natalja noch einmal kurz zu, verbeugte sich leicht in ihre Richtung und verschwand hinaus.

„Guten Abend und herzlich willkommen!“, erklang die angenehme Stimme der Rezeptionistin in englisch. „Ich heiße Tatjana. Ich führe Sie gleich zu Ihrer privaten Hütte. Haben Sie Wünsche, die ich Ihnen vielleicht schon erfüllen kann?“

Nach dem zweifelhaften Empfang am Flughafen und dem schweigsamen Georgij war Natalja angenehm überrascht über die Freundlichkeit, welche ihr Tatjana entgegenbrachte. Und sie zweifelte nicht daran, das die Herzlichkeit ernst gemeint war.

„Ich danke Ihnen. Vielleicht können wir uns weiter auf Russisch unterhalten?“ Natalja sah ihr Gegenüber offen an und wechselte in die andere Sprache. „Я хотел бы попрактиковаться в этом. (Ich möchte mich gerne darin üben.)“

„Aber sehr gerne!“, antwortete Tatjana prompt in ihrer Muttersprache. Dabei überzog ein breites Grinsen ihr Gesicht und sie lachte leise.

„Habe ich etwas verpasst?“

„Nein, nein.“ Tatjana kicherte fröhlich weiter. „Aber ich wäre zu gerne dabei gewesen!“

Nataljas Augen wurden groß und eine leichte Röte legte sich auf ihr Gesicht.

Tatjana fuhr ungerührt fort: „In längstens einer Stunde wissen es alle! Sie werden begeistert sein. Naja, die Kerle vielleicht weniger. Aber auf die kommt es ja zum Glück nicht an.“ Tatjana wieselte hinter dem Tresen hervor. „Kommen Sie, ich bringe Sie zur Hütte.“

Natalja wollte nach ihrem Gepäck greifen, doch Tatjana hatte sich bereits alles geschnappt; ihr blieb nur noch ihre Handtasche und der Rest ihrer Würde.

Der Weg zur Hütte betrug kaum mehr als vierhundert Meter. Unterwegs waren sie an einigen Abzweigungen vorbeigekommen, doch die Hütten, zu denen diese Wege führten, konnte man nicht sehen. Die ganze Lodge war so angelegt, das den einzelnen Gästen Privatsphäre garantiert war. Und außerdem, so stellte Natalja fest, als sie endlich am Ziel ihrer langen Reise war, die Illusion, die jeweilige Hütte sei die einzige weit und breit. Keine Stimmen, kein Motorenlärm, keine Straßenlaternen, nicht einmal die Versorgungsleitungen für Strom, Wasser usw. waren auszumachen.

„Da sind wir. Kommen Sie herein, ich zeige Ihnen noch alles.“

Новая девушка — Eine neue Freundin

„Du bist zufrieden.“ Das war eine Feststellung seitens Tatjana.

„Ja!“, seufze Natalja, und lies sich auf die weiche Couch fallen. „Bitte.“, lud sie ihre neue Freundin ein, sich ebenfalls zu setzen.

In der vergangenen halben Stunde hatte ihr Tatjana die Hütte erklärt, den grundsätzlichen Aufbau der ganzen Lodge, und — ganz wichtig — die Regeln der Lodge. Diese waren nach einer Reihe von Vorfällen, wie sie sich ausdrückte, geschaffen worden und wurden weitaus strenger durchgesetzt als jedes Gesetz. Auf Nataljas fragenden Blick hin seufzte Tatjana: „Naja, das ist jenseits des Rings echte Wildnis da draußen. Wunderschön! Aber auch gnadenlos tödlich.“

Just in diesem Moment drang ein lang gezogenes Heulen zu ihnen herein. Und gleich darauf waren die Antworten zu hören. Tatjana zuckte die Schultern. „Seither ist nichts ernstes mehr passiert.“ Natalja wusste keine Antwort darauf.

Garniert hatte Tatjana ihre Erklärungen mit vielen kleinen Geschichten zu dem Land und zu den Menschen, die hier lebten; sich selbst eingeschlossen. Sie hatte damit die Stimmung wieder gelockert und sie hatte Natalja ausgefragt. Nicht irgendwie plump, quasi nebenbei; so gab Natalja ebenfalls einiges von sich preis. Sie lachten über dieses und jenes und so schien es ihr — ganz gegen ihre sonstige Vorsicht — vollkommen natürlich, Tatjana als Freundin zu betrachten.

*

Tatjana lies sich in einen Sessel plumpsen. „Uh, wenn Jefim hiervon wüsste, wäre er gar nicht mehr ruhig.“

„Jefim?“ Natalja musste über den kleinen Witz lächeln. Tatjana lächelte verschmitzt zurück, erfreut darüber, das ihre neue Freundin den Scherz mit dem Namen verstanden hatte.

„Du hast ihn kurz getroffen.“

„Getroffen? Wann ....“. Natalja sprach den Satz nicht zu Ende, denn sie schaute Tatjana zu, wie die mit einem Finger von ihrer Stirn hinunter zum Kinn fuhr.

„Narbengesicht?!" Natalja verzog das ihrige zu einer Grimasse.

Tatjana prustete los: „Oh, dieser Ausdruck! Einfach wunderbar!“

„Wer ist der Kerl denn eigentlich?“

„Och, niemand wirklich wichtiges, nur der Eigentümer von dem allem hier. Naja, Miteigentümer.“ Natalja wurde einmal mehr an diesem Tag rot. "Und nebenbei auch noch mein älterer Bruder.“ Während Natalja ihr Gesicht mit den Händen verbarg lies Tatjana lautes, fröhliches Lachen hören. Dann ergänzte sie: „Er ist sehr zurückhaltend, das solltest du vielleicht wissen. Ah, und berühren sollte man ihn auch nicht ohne seine Erlaubnis. Da ist er fürchterlich eigen. Aber sonst ist er ein ganz Lieber.“

Schließlich lies Natalja ihre Hände wieder sinken. Ihre Verlegenheit war ihr deutlich anzusehen.

„Aber jetzt erzähl mir mehr von dir!“, forderte Tatjana sie auf. „Wie hat es dich ausgerechnet hierher verschlagen? Und wo hast du so gut unser Russisch gelernt? Weist du, du redest nämlich gerade wie eine Einheimische. Und wie ist das mit deinem eigenen Namen?“

„Nun, ja, ich hatte nicht direkt eine Wahl. Mein Boss hat mich zwangsweise in Urlaub geschickt. Das, oder die Kündigung.“

„Was hast du denn bloß angestellt?“

„Äh... ich habe einen Kunden ... angeschnauzt. Ich arbeite in einer Personalagentur für, sagen wir mal, heikle Fälle. Da hat mir mein Durchsetzungsvermögen immer geholfen. Bis vor kurzem jedenfalls. Aber in den letzten Wochen...“

„Und da suchst du dir ausgerechnet Russland im Winter aus?“

„Das schien mir irgendwie logisch. Meine Großeltern stammen aus dieser Gegend. Hauptsächlich von Ihnen habe ich Russisch gelernt.“

Tatjana nickte.

„Jedenfalls hatte ich keine Zweifel, das ich hierher kommen musste. Und Großmutter hat mir sowieso immer wieder prophezeit, das ich eines Tages diesen Ort kennenlernen müsse. Und weißt du, es fühlt sich richtig an, irgendwie, als wäre ich nach Hause gekommen.“

„Das liegt uns im Blut.“, erwiderte Tatjana, erklärte aber trotz des fragenden Blicks von Natalja nicht weiter, was sie damit meinte. „Und dein Name?“

Natalja nickte. „Jo. Ich bin am ersten Weihnachtstag geboren.“

„Dann hast du ja in zwei Tagen Geburtstag!“, freute sich Tatjana und klatschte in die Hände. „Natürlich feierst du mit uns, klar. Mit Jefim, Georgi, und allen anderen.“, und ihre Vorfreude lies sie herumzappeln wie ein Kind.

Nach einer weiteren halben Stunde musste sie dann doch los, um, wie sie sagte, den Frondienst wieder aufzunehmen. Es war ihr nicht Ernst damit, das spürte Natalja genau. Und das Tatjana ihren Bruder innig liebte, spürte sie ebenso.

Сочельник - время завтрака — Heiligabend - Frühstückszeit

Der nächste Tag begann ruhig und friedlich, ganz wie es sich für einen Heiligabend gehörte. Natalja hatte richtig gut geschlafen und damit die Strapazen der Reise hinter sich gelassen. Voller Tatendrang trat sie hinaus. Es war noch dunkel, denn die Sonne ging so nahe am Polarkreis im Winter sehr spät auf und gab nur ein kurzes Gastspiel von einigen Stunden.

Sie begann langsam, dann wurden die Schritte länger und bald darauf hatte sie ein angenehmes Lauftempo gefunden. Sie rief sich die Karte in Erinnerung, die vielen Regeln, was man doch bitte lassen sollte, und die Hinweise, die Tatjana ihr gegeben hatte. So führte sie ihr Weg bald den Ring entlang, der als Straße um das Gelände der Lodge herum lag. Bei ihrem Tempo brauchte sie etwa eine Stunde, um den ganzen Ring abzulaufen.

Geduscht und in frischen Kleidern ging sie danach schnurstracks zum Hauptgebäude. Dort sollte ein ganztägiges Büffet für diejenigen bereitstehen, die die Hütten lieber verließen, als selber zu kochen oder sich etwas liefern zu lassen.

*

Als sie das Gebäude gerade erreicht hatte, hörte sie zu ihrer Linken ein Quietschen. Sie stoppte und schaute zu einem kleinen Mädchen von vielleicht sechs Jahren hinüber, das auf einem Dreirad Kreise und Achten auf dem Zufahrtsweg zog. Die Kleine hielt kurz an, winkte Natalja mit ernstem Gesicht zu, und setzte ihre Fahrt gleich wieder fort. Natalja wartete auf das Ende der Runde, winkte dann zurück und wollte schon hineingehen, als sie rasch lauter werdendes Motorengeräusch vernahm. Einer dieser übergroßen Geländewagen, die hier von jedem verwendet wurden, kam viel zu schnell und schlingernd auf das Kind zu. Im nächsten Moment schon hatte sie das Mädchen umschlungen und brachte sie beide mit einer Hechtrolle zur Seite von der Straße hinunter in Sicherheit. Hinter ihnen überdrehte jaulend ein Motor, dann erklang ein lautes Schaben und Knirschen, das mit einem lauten Buff beendet wurde.

Sie lag im Schnee, drehte sich zur Seite und gab so das Mädchen frei, das sie mit ihrem Körper geschützt hatte. Aus dem Gebäude kam eine Frau auf sie zu gerannt, ein Mann riss bereits die Türe des Wagens auf und zerrte den Fahrer hinter dem Lenkrad hervor. Irgendwie gewann sie den Eindruck, das das nicht seiner Rettung diente, denn sie hörte lautes Geschrei von dort.

„Jahah! Noch mal!“, meldete sich die junge Dreiradfahrerin lautstark zu Wort und strahlte glücklich dabei. Natalja musste unwillkürlich lachen. Schon in der nächsten Sekunde wurde das Mädchen hochgerissen und mit einer immer wieder von Schluchzern und Küssen unterbrochenen Schimpftirade bedacht. Viel Eindruck hinterließ dieser Aufwand aber ganz eindeutig nicht.

Eine Hand streckte sich ihr entgegen. Georgij half ihr, schweigend wie es nun einmal seine Art schien, wieder auf die Beine und begleitete sie ins Gebäude.

*

An der Empfangstheke vorbei nach rechts durch eine weite Doppeltüre aus Holz und Glas führte sie der Geruch des frischen Kaffees. Tische und Stühle aus Holz und einige breite Sessel mit Beistelltischen luden sie ein, ihr Mahl zu genießen. Das Personal wuselte herum, um die anderen Gäste zufriedenzustellen. Das kleine Abenteuer eben hatte ihr den Appetit nicht verdorben, eher schon das Gegenteil. Also trat Sie an das Büffet und wählte Kaffee, verschiedene Sorten Brot und Marmelade — da war eine, die ganz wunderbar nach Zimt duftete —, Honig und Butter, eine gute Portion Rührei und zum Nachtisch Orangen, lud alles auf das extragroße Tablett, welches sie sich ausgesucht hatte. Kurz prüfte sie noch einmal das Angebot, dann drehte sie sich mit dem ersten Schritt schwungvoll um, nur um mit dem Tablett gegen ein Hindernis zu stoßen: Narbengesicht.

Wieder stand sie diesem Mann Nase an Nase gegenüber. Narbengesicht schaute auf das Tablett hinunter, das zwischen ihnen eingeklemmt war. Seine Stirn legte sich in Falten.

„Was?“, raunzte ihn Natalja an.

Keine Reaktion.

„Wollen Sie mir nicht endlich aus dem Weg gehen?“

Narbengesicht hob endlich den Blick. Seine Augen schauten endlos in die ihren und sie hatte das Gefühl, sich in ihnen zu verlieren. Bernstein leuchtete ihr entgegen, so kam es ihr vor. Sie hatte noch nie gehört, das ein Mensch eine solche Augenfarbe haben konnte. ‚Wunderschön!‘, dachte sie. Er öffnete gerade den Mund, als sie unvermittelt eine Hand zu seinem Gesicht hob und ihre Finger mit einer leichten, ja sanften Berührung den Konturen seiner Narbe folgen ließ.

Irgendwo hörte sie wie aus weiter Ferne lautes Scheppern und Krachen, begleitet von den Aufschreien gleich mehrerer Personen. Doch es kümmerte sie nicht. Stattdessen strich sie ihm noch einmal zart über seine Wange. In diesem Moment fühlte sie eine Verbundenheit mit ihm, die über alle ihre bisherigen Erfahrungen weit hinausreichte. Jefims Gesicht zeigte kurz einen Anflug von Wut, der jedoch sofort von Verblüffung verdrängt wurde. Das erleichterte sie sehr, denn sie erinnerte sich gerade an die Bemerkung von Tatjana.

Jefim nahm ihre Hand, führte sie zurück ans Tablett und sorgte für ihren sicheren Griff. Er sprach kein Wort, doch er schaute sie weiter an, als nähme er sie nun das erste Mal wirklich wahr. Dann entspannte er sich, trat einen halben Schritt zurück, deutete eine Verbeugung an und lies sie zurück.

‚Wann war aus Narbengesicht eigentlich Jefim geworden?‘ Der Gedanke streifte kurz durch ihr Gehirn und verlor sich dann. Es war einfach nicht wichtig. Irgendwo in der Nähe heulte ein Wolf, aber auch das war ohne Bedeutung.

*

Sie schob sich gerade den ersten Bissen ihres Frühstücks in den Mund, als Tatjana den Stuhl gegenüber mit lautem Geräusch vom Tisch wegzog, ihn herumdrehte und sich dann rittlings drauf plumpsen lies. Natalja beschäftigte sich seelenruhig weiter mit ihrer Mahlzeit. Sie lies sich in keiner Weise stören und schien auch die Blicke der anderen nicht zu bemerken, die sie alle anstarrten.

„Hi.“, begrüßte sie ihre Freundin zwischen zwei Bissen. Und eine halbe Tasse Kaffee später: „Was ist denn? Gab es einen Unfall? Ich meine, ich hätte etwas gehört?“

„Geht es dir gut? Fühlst du dich wohl?“ Tatjana schaute sie unverwandt an.

„Aber ja. Mir ging es nie besser!“ Natalja hielt kurz inne. „Ja, ich fühle mich so gut, wie seit langem nicht mehr. Warum fragst du? Ist denn alles gut bei dir? Du wirkst irgendwie ... panisch.“ Erst da bemerkte Natalja die allgemeine Aufmerksamkeit, die man ihr schenkte. „Was ist denn nur geschehen?“

„Äh. Du. Irgendwie. Mit Jefim.“

„Hmm. Was? Ich verstehe nicht?“

„Jemand hat gesagt, du hättest Jefim ... berührt?“

Natalja nickte und schob sich den nächsten Bissen in den Mund.

„Ihm über die Wange gestrichen?“

Natalja nickte wieder. Als Tatjana still blieb, hielt sie inne und schaute ihre Freundin wieder an. „Ja. Hab ich.“ Einmal mehr nahm ihr Gesicht eine rote Farbe an.

Tatjana stieß einen tiefen Seufzer aus. „Die letzte Person ... ein Gast berührte nur seine Schulter....“

„Ja, und?“

„Nun, wir mussten danach über ein Jahr lang für ihre Therapie aufkommen.“

На выходе — Auf Abwegen

Die Unterhaltung mit Tatjana hatte noch eine ganze Weile gedauert. Dann hatten Sie zusammen einen wundervollen Tag verbracht; sie waren Schlittschuh laufen gewesen und manches andere. Tatjana hatte behauptet, sie hätte heute ihren freien Tag, aber Natalja war sich sicher, das dies nicht stimmte. Eher schien es ihr so, das sie bei Tatjana unter Beobachtung stand.

Die Dämmerung begann gerade — in etwa fünfzehn Minuten würden nur noch die Laternen und der Mond Licht spenden — als Tatjana einen Anruf erhielt, der sie wohin auch immer rief. Sie verabredeten sich noch schnell zum Abendessen, dann war Natalja allein. Sie orientierte sich, stellte fest, das sie nahe der nord-östlichen Ausfahrt vom Gelände der Lodge auf den Ring stand, und beschloss diesen abzugehen. Bis zu ihrer Verabredung waren es noch gut drei Stunden, also hatte sie Zeit genug.

*

Als sie den Fußweg des Rings erreichte, flammten bereits die Laternen auf. Der Mond kämpfte sich gerade hinter den Bäumen hervor, so das sie bis zum Waldrand in etwa dreihundert Meter Entfernung silbrig funkelnde Flächen bewundern konnte. Sie wollte sich schon abwenden, da bemerkte sie eine Bewegung. Erst glaubte sie noch an eine Täuschung, dennoch ging sie bereits schnellen Schrittes auf der Straße in Richtung Wald. Aus Tatjanas Schilderung wusste sie, das diese Straße schnurgerade zur nächsten, östlich gelegenen Stadt führte, etwa 100 Kilometer weiter.

Im heller werdenden Mondlicht erkannte sie vor sich etwas kleines, das sich auf den Wald zubewegte und dabei immer wieder quietschende Geräusche machte. Und sie hörte noch etwas anderes: das Heulen der Wölfe.

*

Die Kleine legte ein erstaunliches Tempo vor und wurde von der Dunkelheit des Waldes verschluckt, als Natalja noch knapp hundert Meter von ihr entfernt war. Mittlerweile rannte sie, erreichte endlich den Waldrand und versuchte auf der Straße vor ihr Kind und Dreirad auszumachen, doch sie konnte sie nicht entdecken. Dafür hörte sie das Quietschen weit voraus. Sie spurtete los, und doch gelang es ihr nicht, das Kind einzuholen. Das Quietschen wurde leiser und leiser. Und kam außerdem nicht mehr von vorne, sondern von der linken Seite. Ohne nachzudenken änderte sie die Richtung — sie hatte einen Stichweg entdeckt, dem sie nun folgte.

Plötzlich war sie nicht mehr alleine. Auf ihrer rechten Seite vor sich hörte sie das Knacken von Ästen, das Knirschen des Schnees und bemerkte aus dem Augenwinkel einen sich schnell bewegenden Schatten. Und dann — ohne Vorwarnung — hatte sie den Weg verloren und stand mitten im Wald.

Das Heulen verklang in der Ferne. Natalja war kalt. Und sie spürte Angst in sich aufsteigen, ein Gefühl, das ihr zuwider war und ihren Zorn, wenn nicht gar ihre Wut, befeuerte.

Ein Wolf war hinter sie getreten, sicher keine zehn Meter entfernt von ihr. Sie brauchte sich nicht einmal umzudrehen, den das Knurren war eine deutliche Ansage. Wenigstens ein weiterer Wolf war noch in der Nähe. Er lies sich nicht blicken, noch nicht, doch er umkreiste sie in einer langsam enger werdenden Spirale. Mittlerweile war sie echt sauer. Sie erinnerte sich an die Geschichten und Warnungen und Regeln, die Tatjana ihr erst am gestrigen Abend erzählt hatte, und bedachte sich im Stillen selbst mit einigen üblen Schimpfwörtern. Dann gelang es ihr, ihre Wut zu nutzen und nach außen zu richten. Sie drehte sich langsam um, sackte dabei in den Schnee ein, bekam dafür aber ein Stück Holz zu fassen, das sich wunderbar hart und schwer in ihrer Hand anfühlte.

Der Wolf war groß, wirklich groß, hatte dichtes braunes Fell und den Kopf gesenkt und den Körper zum Sprung gespannt. Dabei fletschte er die Zähne und knurrte in einem unglaublich tiefen Ton. Irgendwie kam ihr diese Szene bekannt vor, und einen Moment lang hätte sie schwören können, das dieser Wolf mit dem unfreundlichen Kerl vom Flughafen identisch war.

„Du räudiger Köter!“, entfuhr es ihr und knurrte zurück.

Damit war die Zeit abgelaufen, der Körper des Wolfes sauste durch die Luft schnurstracks auf ihre Kehle zu. Sie schwang das Holz, traf damit die Schulter das es krachte und trieb damit den Wolf noch in der Luft in die eine Richtung und sich selbst in die entgegengesetzte. Während der Wolf auf der Seite landete, blieb sie selber auf den Füßen. Dann brachen sich ihre aufgestauten Emotionen Bahn.

„Du mickrige Fehlgeburt!“, schrie sie dem Wolf zu und stapfte auf ihn zu. Und der erhobene Knüppel in ihren Händen ließ keinen Zweifel an ihrer Absicht aufkommen, diese Angelegenheit hier und jetzt ein für allemal zu klären.

Der Wolf sprang auf und ging wieder in Angriffsstellung. Natalja stapfte jedoch ungerührt weiter auf ihn zu und schrie eine Beleidigung nach der anderen heraus. Und sie drängte den Wolf zurück. Erst ging er noch rückwärts doch dann drehte er sich blitzartig um und verschwand im Unterholz.

Аберрации — Verirrungen

Natalja hielt den Knüppel weiter fest in der Hand. Für den Moment war die Gefahr gebannt, doch die konnte sich genauso gut auch schon wieder anschleichen. Sie drehte sich einmal um ihre eigene Achse und mühte sich, den Feldweg wieder zu finden, der sie hier her gebracht hatte. Nichts. Es war durch den jetzt vollen Mond hell genug, um Bäume und Äste auf die nächsten zwanzig Meter zu erkennen; der reine, weiße Schnee half natürlich dabei, indem er fast alles Licht vom Boden zurückwarf. Allerdings verwischte er durch seine Masse auch jede Struktur. Ein einfacher Feldweg unterschied sich einfach nicht genug vom Rest der Landschaft, um ihn von der Seite her zu erkennen. Sie müsste schon auf dem Weg stehen, um das Fehlen der Bäume zu bemerken.

‚Eine Idee! Ich brauche eine wirklich gute Idee!‘, hallte es in ihrem Kopf wieder und wieder. Sie hob den Blick dem Mond entgegen. Und dann machte es Klick!

Der Mond stieg im Osten auf. Also fielen die Schatten der Bäume Richtung Westen, in die Richtung der Lodge. Doch halt: sie befand sich hier nahe des nördlichen Polarkreises und es war dazu noch Winter, was bedeutete der Mond stand weit südlich von hier. Und damit zeigten die Schatten wohl nach Nord-Ost. Und mit jeder Minute, die der Mond auf seiner Bahn weiterkam .... wurde daraus mehr und mehr Norden. Sie versuchte den Winkel abzuschätzen, in dem sie am Besten gehen sollte, gab es dann aber auf. Das Dickicht würde sie sowieso keine gerade Linie nehmen lassen. Die Straße zur Lodge konnte nicht mehr als ein paar hundert Meter entfernt verlaufen. Also stapfte sie los, den Mond immer leicht zu ihrer Linken haltend.

Ihr Plan wäre aufgegangen, da war sie sich sicher. Doch sie kam nicht weit, da verschluckten Wolken ihren freundlichen Lichtspender und es wurde so dunkel, das sie kaum drei Schritte weit sehen konnte.

„Mist! So ein verdamm.... “ Ein scharfes Knacken lies sie zur Seite blicken. Erst konnte sie nichts erkennen, aber dann erblickte sie die Wölfin: sie schaute sie interessiert an, die Ohren hochgestellt, entspannt, die Augen zwei kleine, grünlich glühende Punkte. Es war definitiv nicht das selbe Exemplar, das vorhin ihren Knüppel gespürt hatte, und etwas in ihr sagte ihr, das dies ein Weibchen war.

„Nun, dann.“ Sie sprach die Worte leise aus und machte langsam einen Schritt in die von ihr gewählte Richtung. Die Wölfin bewegte sich jedoch schnell und weitaus eleganter als sie, und schnitt ihr den Weg ab. Natalja hatte nur die Wahl, sich weiter rechts zu halten.

„Neuer Versuch.“, kommentierte sie sich selbst, und tatsächlich konnte sie zwanzig Schritte gehen, bevor das Tier wieder links vor ihr erschien und sie anblickte, als warte es auf ihren nächsten Zug. Dieses Spielchen wiederholte sich noch zwei Mal. Dann spürte sie statt des tiefen, weichen Schnees plötzlich festen Boden unter ihren Stiefeln. Verdutzt sah sie sich um. Das war nicht die Straße, aber definitiv ein befestigter Weg.

Ihr Orientierungssinn riet ihr, sich nach links zu wenden. Sie schaute in diese Richtung und, ja, genau, da stand ihre Begleiterin wieder, diesmal mitten auf dem Weg. Versuchsweise tat sie einen Schritt, doch die Reaktion kam schnell und war eindeutig: gesenkter Kopf, die Lefzen hoch gezogen. Nein, sie würde sie nicht vorbeilassen.

„Die andere Richtung, ja?“ Natalja ging los. Auf dem festen Grund kam sie zügig voran. Sie schaute noch einmal hinter sich, doch die Wölfin war verschwunden.

*

Sie blieb stehen und überlegte, ob sie umkehren sollte, als ihr ein Geräusch bewusst wurde, das sie bis dahin überhört hatte: ein ihr wohlbekanntes Quietschen. Verblüfft eilte Natalja den Weg weiter, und stand nach kurzer Zeit vor einem großen Haus mit zwei Etagen, die unteren Fenster hell erleuchtet, mit einer breiten Veranda davor. Und auf dieser Veranda fuhr ein kleines Mädchen auf seinem Dreirad hin und her.

Mit plötzlich zitternden Beinen stieg Natalja die drei Stufen zur Veranda hinauf und setzte sich. Aufregung und Erschöpfung holten sie ein und sie schloss für einen Augenblick die Augen. Als sie sie wieder öffnete stand vor ihr das Mädchen, dessen Namen sie immer noch nicht kannte, wie ihr erst jetzt auffiel. Und während Natalja das Kind anblickte, fielen ihr deren Augen auf. Aus der Nähe erkannte sie eine tiefe, glänzende Schwärze mit vielen hell schimmernden Pünktchen darin.

Und dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig: Das Mondlicht brach mit voller Stärke durch. Die Augenfarbe des Mädchens wechselte zwischen zwei Lidschlägen zu einem fahlen Gelb. Ein Wolf erhob sich, bisher von den Schatten unter den Fenstern verborgen gehalten, und trat zu dem Kind. Aus der Ferne vernahm sie das Glockenläuten der Abendmesse. Und dann wurde die Haustüre aufgerissen und Bernstein-farbene Augen leuchteten ihr entgegen.

„Silber!“, schrie eine Kinderstimme. „Wie schön! Sie hat silberne Augen! Und wie sie blitzen!“

Von all dem zu Tode erschreckt und überwältigt sprang Natalja auf, machte einen riesigen Satz von der Veranda herunter, wirbelte herum, stemmte sich mit ihren vier mächtigen Pfoten in den Schnee, zum Kampf bereit, und zeigte drohend ihr Raubtiergebiss.

Наконец-то прибыл — Endlich angekommen

Die ersten Sonnenstrahlen kitzelten an Nataljas Nasenspitze und weckten sie auf. Es war der erste Weihnachtsfeiertag und natürlich ihr Geburtstag. Sie dachte an den vergangenen Abend und die Nacht. Die Erinnerung an den Moment ihrer ersten Verwandlung machte sie frösteln. Sie war verwirrt gewesen, wusste nicht wie ihr geschah und wollte nur noch fliehen.

Doch dann hatte Jefin mit ihr gesprochen. Seine Worte waren leise und sanft gewesen und ließen sie ruhiger werden. Schließlich kam er langsam die Stufen der Veranda herab, ging vor ihr in die Hocke. Und dann umfassten sie seine starken Arme und zogen sie an ihn — und er wiegte sie, murmelte in ihr Ohr. Und er nannte sie seine Natascha! Und ab da fühlte sie sich endlich sicher und, schwupps, war sie wieder in ihre menschliche Gestalt geschlüpft.

Sie hatte seinen Erzählungen gelauscht, über seine und ihre Vorfahren und Wandler und was sie waren und was nicht. Und nein: ihm war noch nie ein Werwolf begegnet. Als sie danach gefragt hatte, hatte er tatsächlich gelacht. Jefim hatte gelacht und sein Lachen hatte sie unendlich gefreut. Als sie fragte, ob sie ein Rudel seien, hatte er noch einmal gelacht und wieder den Kopf geschüttelt.

„Eine Gemeinschaft: ja. Den anderen verbunden: ja. Doch freiwillig und nicht in einer Hierarchie jemandem untergeordnet.“ Der Klang seiner Stimme wärmte sie. Und er machte sie vollständig. Ja, das war ein passendes Wort dafür. Dann hatte er unvermittelt vorgeschlagen zur Lodge zurückzukehren.

„Das Abendessen ist gleich bereit und du musst hungrig sein.“

Sie hatte genickt und erwartet, das er ein Fahrzeug hier hatte, welches sie benutzen würden. Doch sie hatte sich geirrt. Er hatte sich gewandelt, sie angeschaut und ruhig gewartet, bis sie es ihm gleichgetan hatte. Und dann waren sie gerannt: den ganzen Weg durch den Wald. Als sie den Wald schließlich hinter sich gelassen hatten tanzten über ihnen die Polarlichter. Dann ging es über den Ring durch das Scheinwerferlicht irgendeines Lastwagens zum nördlichsten Punkt der Lodge, dorthin, wo die Häuser der Mitarbeiter waren. Er war vor eine der Haustüren gelaufen, hatte sich gewandelt und geklingelt. Tatjana hatte die Türe so schnell aufgerissen, als ob sie auf der Lauer gelegen hätte, sah die Wandlung ihrer Freundin mit an und quietschte und kreischte vor Vergnügen und hüpfte um sie herum.

*

Der Rest des Abends war mit Abendessen und vielen Trinksprüchen vergnüglich verbracht worden. Georgij war da gewesen, seine Frau Aljona mit ihren verdächtig grünen Augen, natürlich Tatjana und ein junger Mann, der nur Augen für die Frau neben ihm hatte. Gegen Mitternacht war Jefim schweigend aufgestanden, hatte sie mit sich gezogen und sie waren Hand in Hand zu ihrer Hütte gegangen. Die Aurora borealis beherrschte immer noch den Himmel und zog viele Zuschauer in die Kälte der Nacht hinaus. Und wer immer sie beide zufällig bemerkte, der schaute ihnen nach, als ob sie ein noch größeres Wunder wären als die bunten Lichter am Himmelszelt. Bald darauf fanden sie sich unter der Bettdecke wieder und erkundeten neugierig ihr Gegenüber.

*

Jefims Arme schlangen sich fester um sie, seine Hände gingen auf ihrem Körper auf Wanderschaft und brachten sie in die Gegenwart zurück. Sanfte Küsse in ihrem Nacken ließen sie wohlig erschauern.

„Herzlichen Glückwunsch, meine Natascha.“

Конец — Ende

Источники — Quellen

https://www.babelli.de/russische-maedchennamen/

https://www.babelli.de/russische-jungennamen/